Münster. „Bereits am 4. März 2020, kurz nach den ersten festgestellten Infektionen mit CoViD 19, gab die IG Metall in einer Direktive für die Aktiven im Betrieb bekannt: Durch aktive Mitbestimmung stellen wir sicher, dass der Schutz der Menschen vor wirtschaftlichen Interessen Vorrang hat und alle Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit ergriffen werden.
Gemeinsame Rede von Gebhard Hofner und Lars Gremme (beide IG Metall Münster) auf der „Mahnwache gegen Verschwörungsideologie und Antisemitismus“, am 12. September 2022 auf dem Michaelisplatz, am Paulus-Dom
Die Corona-Pandemie darf nicht die Einkommen gefährden. Die Betriebsräte stellen sicher, dass Arbeitgeber ihrer Pflicht nachkommen, sozialstaatliche Schutzregelungen zur Anwendung kommen und die Einkommen bei möglichen Arbeitsausfällen gesichert werden. Oberste Priorität ist die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen und den Beschäftigten ein sicheres Arbeitsumfeld zu bieten. Der Betriebsrat hat ein Initiativrecht und ist bei Untätigkeit des Arbeitgebers verpflichtet, es zu nutzen“, so Gebhard Hofner, langjähriges Betriebsratsmitglied der IG Metall in der Metall- und Elektroindustrie.
Die IG Metall hat – so wie die anderen DGB-Gewerkschaften auch – von Anfang an klare Ansage gemacht: Menschen vor Profite! Sie hat ihre Betriebsräte, Vertrauensleute und Mitglieder darüber informiert, mit welchen Maßnahmen diese Orientierung umgesetzt werden soll, welche Rechte die Beschäftigten dabei haben und welche Pflichten die Unternehmer. Das ist in vielen Betrieben gut gelaufen, aber in manchen gab es auch Konflikte, ob die Priorität heißt: Schutz der Menschen oder Schutz der Profite.“In den vergangenen Wochen hatte ich die Chance, an vielen Seminaren für Betriebsräte der Region als Referent teilzunehmen“, so Hofner weiter: „Die übergroße Mehrheit der Teilnehmer:innen hat berichtet, dass es ihnen gelungen ist, die folgende Rangfolge zu klären, TOP genannt, technisch – organisatorisch – persönlich. Als erstes sind technische Maßnahmen durchzuführen, also Lüftungseinrichtungen, Desinfektionsmöglichkeiten bereitzustellen. An zweiter Stelle stehen organisatorische Maßnahmen, also wo möglich Wechsel ins Home-Office, versetzte Zeiten für Arbeitsbeginne, Arbeitsende und Pausen, Abstand zwischen Arbeitsplätzen und in den Kantinen und Pausenräumen zu schaffen. Erst an dritter Stelle sind die persönlichen Schutzmaßnahmen wie Masken etc. Wir stehen solidarisch hinter Kolleg:innen, die einen besonderen Schutz benötigen, sei es weil sie aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, unter Impfschäden oder Long-Covid leiden. Ziel war es dabei immer, die Belastungen für die Beschäftigten so gering wie möglich zu halten und das gilt bis heute und im kommenden Pandemie-Winter. Hier sind vor allem unsere Betriebsräte in der Pflicht. Ein Aspekt, der bald in den Mittelpunkt der Aktiven rückte, waren die psychischen Belastungen der Beschäftigten durch die wechselnden Schutz-Maßnahmen seit Beginn der Pandemie. Wichtig war und ist es daher, kontinuierlich und seriös zu informieren, der Verunsicherung Fakten und Wissen entgegenzustellen, auf solidarisches Handeln zu orientieren.“
Situation der jungen Menschen: Viel zu wenig im Blick
Lars Gremme, aktiv in der IG-Metall-Jugend Münster und der DGB-Jugend informiert über die Situation der jungen Menschen in der Pandemie: „Viel zu wenig im Blick sind die jungen Menschen. Bei einer Befragung durch die IG Metall berichteten Junge Erwachsene über verringertes Selbstwertgefühl, Depression/Angstzustände und das Empfinden von Perspektivlosigkeit. Auszubildende sorgen sich um die Qualität ihres Abschlusses. 71 % gaben an, dass sich die Berufsschulqualität verschlechtert hat, 53 % sehen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert und 40 % sehen ihre Übernahme nach der Ausbildung in Gefahr. Junge Beschäftigte berichten bei HomeOffice und Flexibilisierung kaum über positive Erfahrungen, sondern vor allem über negative Konsequenzen: 64 % bei Arbeitsatmosphäre, 55 % bei Leistungsmotivation, 51 % bei Weiterbildungsangeboten, 42 % beim Verhältnis Arbeit und Freizeit und 39 % in der persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung. Besonders schwerwiegende Konsequenzen hatte das Fehlen von Weiterbildungsangeboten, weil junge Berufstätige ihre Karriere starten und weiterkommen wollen. Wenn persönliche und berufliche Qualifizierungsmöglichkeiten fehlen, kann eine Entgeltlücke entstehen, die Berufstätige unter Umständen das ganze Leben nicht mehr schließen können.“
Hofner: „Sie wollen ihre rechten Positionen verbreiten, die Gesundheit der Menschen ist ihnen dabei egal“
Gebhard Hofner: „Nicht nur auf dem Domplatz und bei diversen „Spaziergängen“, auch in den Betrieben gab und gibt es Menschen, die durch Leugnen der Pandemie, das Streuen von Fake-News über Impfungen und andere Schutzmaßnahmen die Beschäftigten verunsichern wollen. Sie wollen ihre rechten Positionen verbreiten, die Gesundheit der Menschen ist ihnen dabei egal. Dem müssen und werden wir auch zukünftig offensiv, informativ und solidarisch entgegentreten, in den Betrieben und auf der Straße. Ich möchte aber noch auf eine andere Krisensituation eingehen, die uns erwartet: Folgen des Kriegs Russlands gegen die Ukraine und des Wirtschaftskriegs der EU und der USA gegen Russland. Für normale Menschen, berufstätig, in Ausbildung oder in Rente, bringt der kommende Winter insbesondere enorm gestiegene Energiekosten mit sich. Für Berufstätige stehen in den Betrieben weitere Einschnitte an. Viele Energieversorger, Stadtwerke und andere, sind auf Betriebe zugegangen und haben mögliche Energiesperren angekündigt. Das kann die tageweise Schließung von Betrieben bedeuten, da die Gebäude nicht beheizt werden und Anlagen nicht laufen können. Manche Unternehmen wollen das Risiko auf die Beschäftigten abwälzen: die Angestellten sollen im Homeoffice weiterarbeiten und ihre Heizkosten selber tragen, die Arbeiter aus der Produktion kann man nicht ins Homeoffice schicken (könnt ihr euch den Staplerfahrer im Homeoffice vorstellen?). Die Kolleg:innen sollen dann erneut in Kurzarbeit gehen und Einkommensverluste hinnehmen, Hauptsache die Profite sind gesichert. Aufgabe der Gewerkschafter und Betriebsräte wird es sein, darum zu ringen, die Abwälzung der Krisenlasten allein auf die Beschäftigten zu verhindern. Auch das geht nur durch kollektives solidarisches Handeln.“
Gremme: „Ampel springt bei Entlastungspaketen zu kurz“
lars Gremme kommentiert die Entlastungspakete der Bundesregierung: „Ein paar Gedanken zu den Entlastungspaketen der Bundesregierung: Vor kurzem hat die Bundesregierung das III. Entlastungspaket in Höhe von 65 Milliarden Euro beschlossen, die die sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges in Verbindung mit der Energiekrise abfedern sollen. Wir begrüßen das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung als richtige und wichtige Weichenstellung, kritisieren aber die Entlastungseffekte gerade für Durchschnittshaushalte als unzureichend. Insgesamt bleiben zu viele Vorhaben im Ungefähren. Die IG Metall hatte sich schon früh für weitere Entlastungen eingesetzt und dafür eine bundesweite Unterschriftenkampagne gestartet. Mehr als 200.000 Beschäftigte beteiligten sich und unterstützten die Forderungen nach einem sozial gerecht ausgestalteten dritten Hilfspaket, das insbesondere Rentner*innen, Studierende und Erwerbslose in den Blick nehmen sollte. Auch eine Deckelung der Gas- und Strompreise und eine Besteuerung der Übergewinne gehören zu den Forderungen, die jetzt zumindest teilweise umgesetzt werden sollen. Ich möchte unseren ersten Bundesvorsitzenden der IG Metall Jörg Hofmann zitieren:„Das vorgestellte Entlastungspaket enthält wichtige Weichenstellungen für Bürgerinnen und Bürger wie auch Unternehmen. Dennoch lässt es viele Fragen offen.” Zitat Ende. Überfällig waren die jetzt beschlossenen Hilfen für Rentner*innen und Studierende. Gleichwohl bleibt die Ampel bei wesentlichen Punkten auf halbem Weg stehen: Die Strompreisbremse ist ein wichtiger Schritt, muss aber um einen Gaspreisdeckel ergänzt werden. Hier verweist die Ampel auf ein noch zu erarbeitendes Konzept. Auch bei der Abschöpfung der Zufallsgewinne allein im Strommarkt springt die Ampel zu kurz.“
„Die Entlastung der Berufstätigen mit langen Wegen zur Arbeitsstätte bleibt vage“, führt Gremme weiter aus: „Hier sollte in ein Mobilitätsgeld überführt werden, das insbesondere Pendler*innen unabhängig vom Verkehrsmittel hilft. Die angekündigten steuerpolitischen Maßnahmen wie bspw. die Steuerfreistellung von 3.000 Euro an zusätzlichen Zahlungen, etwa durch eine Tariferhöhung, kann eine deutliche Entlastung sein. Auf weitergehende Schritte zur Beseitigung der kalten Progression verweist die Regierung auf den Herbst. Fazit des Entlastungspaketes: Während für die Haushalte mit sehr niedrigen Einkommen wirklich wirksame Entlastungen vereinbart wurden, ist der unmittelbare Entlastungseffekt für die Durchschnittshaushalte noch unzureichend und an weitere Voraussetzungen gebunden. Hier muss konkretisiert bzw. nachgebessert werden. Einige Forderungen von uns sind: Nach Anhebung der Midi-Job-Grenzen (über 450 Euro bis 2000 Euro) werden die Arbeitnehmer*innen von den SV-Beiträgen entlastet, währen die Zahlungen später im SV-System fehlen, also auch bei der individuellen Rente. Wir wollen ein Mobilitätsgeld anstatt einer Fernpendlerpauschale und den Abbau der kalten Progression. Die Eckwerte des Einkommenssteuertarifs sollen zum 01.01.23 angehoben werden. Die Anhebung wird noch festgelegt. Als Folge dieser Maßnahme sehen wir eine Verschiebung des gesamten Tarifs mit großen Steuerausfällen zugunsten hoher Einkommen. Eine Möglichkeit zur Entlastung niedriger bis mittlerer Einkommen wäre über den Grundfreibetrag sinnvoller gewesen.“
Hofner: „Menschen vor Profite“
Hofner weiter: „Vor ein paar Tagen hat Armutsforscher Prof. Butterwegge von der Uni Köln auf einer Veranstaltung hier in Münster bilanziert: „Mit Lindners Entlastungspaket können Porschefahrer und andere Besserverdienende rund 500 Euro einsparen, während Niedriglöhner nur ein paar Euro sparen“. Butterwegge spricht vom „Matthäus-Prinzip“: „Wer hat, dem wird gegeben“. Solidarische Sozialpolitik sieht anders aus. Warum deckelt man nicht die Energiepreise und die Profite der Energiekonzerne wie es in anderen Ländern geschehen ist? RWE hat seinen Gewinn im ersten Halbjahr 2022 mehr als verdoppelt und für das zweite Halbjahr wird eine weitere Steigerung erwartet. Uniper-Chef Maubach formulierte auf einem luxuriösen Galadinner in Mailand: „Churchill hat gesagt: Verpasse nie eine gute Krise! Wir haben definitiv eine gute Krise, also lasst sie uns nicht verpassen.“ (Zitatende) Uniper hat ebenso wie VNG Staatshilfen beantragt, während der Mutterkonzern von VNG, EnBW, steigende Aktienkurse verkündet. Damit muss Schluss gemacht werden, es muss klar sein: Menschen vor Profite!“
Hofner: „Wir sollten wachsam bleiben und nicht zulassen, dass die Rechtsextremen sich die Proteste zunutze machen können“
Ich verstehe, dass die Gewerkschaften sich den Gesprächen in der Konzertierten Aktion aus Regierung, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften nicht verweigern. Aber ich bin davon überzeugt, dass eine Kursänderung in der Energie- und Sozialpolitik nur mit Massenprotesten in diesem Herbst erzielt werden kann. Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi sagte gegenüber der Presse, man werde sich angesichts der steigenden Preise „genau Gedanken darüber machen, wie wir unserer Stimme noch mehr Gewicht verleihen – in den Betrieben oder auf Demonstrationen.“ (Zitatende) Der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann machte klar, dass man auf eine kräftige Lohnerhöhung dränge; Warnstreiks und weitere betriebliche Aktionen seien notwendig, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Wenn die AfD und andere rechts zu verortende Gruppen jetzt Proteste organisieren, geht es ihnen nicht um die Belange der von den explodierenden Energiepreisen besonders gebeutelten Menschen. Es geht ihnen seit eh und je nur um ihr rechtes Süppchen frei nach dem Motto „niedrige Energiepreise nur für Biodeutsche“. Wir sollten wachsam bleiben und nicht zulassen, dass die Rechtsextremen sich die Proteste zunutze machen können.“
Gremme schließt mit den Worten: „Lasst uns gemeinsam den Rechtsruck stoppen! Hoch die internationale Solidarität!“