Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig in Münster,
Südstraße 16: Familie Miltenberg
Ludwig Miltenberg: geboren am 15.12.1886 in Münster – ermordet im KZ Riga-Strasdenhof
Ehefrau Henriette Miltenberg (geb. Spier): geboren am
5.3.1883 in Kalkar – ermordet im KZ Riga-Strasdenhof
Kinder:
Edith Miltenberg: geboren am 24.2.1922 in Münster – ermordet im KZ Riga-Strasdenhof
Hannelore: geboren am 4.7.1928 in Münster – ermordet im KZ Riga-Strasdenhof

*Ludwig Miltenberg wohnte mit den Eltern Klosterstr. 37 und mit seiner Familie 1922 Südstr. 26 (bei Julius Rosenberg) und 1938 Südstr. 30. Für seine Teilnahme am 1. Weltkrieg wurde er am 5.2.1935 mit dem „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“ auszeichnet. Betrieb eine Viehhandlung in der Zeit vom 1.7.1921 bis zum 30.9.1938, Südstraße 27 bzw. 30. In der Pogromnacht 1938 wurde seine Wohnung teilweise zerstört. Mit seiner Familie fand er anschließend Unterschlupf bei christlichen Bekannten. Dort konnte er sich ca. 14 Tage verstecken und somit einer Inhaftierung entgehen. Nach Erlaß des NS-Mietgesetzes wurde er am 31.7. 1939 ins „Judenhaus“ Frie-Vendt-Str. 18 eingewiesen. Die „Sicherungsanordnung“ vom 2.1.1940 wurde wegen mangelnden Vermögens aufgehoben. Eine Auswanderung in die USA mit Hilfe seines Bruders Arnold zog er bereits seit 1939 in Erwägung, jedoch war dessen Bürgschaft für eine vierköpfige Familie zu niedrig. Im August 1940 bestand weiterhin die Absicht, über Rußland und Japan nach Nordamerika auszuwandern, einen „Antrag auf Ausfuhr des Umzugsgutes“ hatte er eingereicht.

Im Oktober 1940 war er mit seiner Familie beim amerikanischen Konsulat in Stuttgart, bekam aber keine Visa. Da ihm nur der Lohn seiner Arbeit zur Verfügung stand, hatte er Ende 1940 1.000 RM von der Witwe Hermine Simon aus Duisburg, deren Sohn Dr. med. dent. Rudolf Simon zuvor bei ihm gewohnt hatte, zur Bezahlung der Auswanderung geschenkt bekommen. Diese Summe benötigte er für Schriftverkehr, Telegramme und weitere Vorbereitungen. Aufgrund der Kriegssituation waren Spinnstoffe Mangelware, daher wurden einige Teile seiner für die Auswanderung verpackten Kleidungsstücke von der Devisenstelle nicht genehmigt und konnten entweder veräußert oder an die Kleiderkammer der jüdischen Kultusvereinigung der Synagogengemeinde Münster abgegeben werden. Die Ablieferung wurde ihm von der jüdischen Gemeinde bescheinigt. Die Vorlage der neuesten Bankauszüge der Bürgen sowie der Gesundheitsbescheinigung verzögerte sich durch den schleppenden Postverkehr. Da diese Verwandten der deutschen Sprache nicht (mehr) mächtig waren, die Briefe jedoch zwecks Überprüfung des Inhaltes in deutsch abgefaßt sein mußten (Zensur), traten bis 1941 weitere Verzögerungen ein. Ludwig Miltenberg arbeitete mindestens von Dezember 1940 bis Oktober 1941 im Lager einer Holzhandlung.
Am 13.12.1941 wurde er mit seiner Ehefrau und seinen beiden Töchtern von Münster ins Ghetto Riga deportiert. Nach dessen Auflösung 1943 wurde er ins KZ Riga-Strasdenhof verbracht. Er war dort einer von zwei Lagerältesten. Bei Auflösung der „Kasernierung“ aufgrund der heranrückenden Sowjetarmee wurden Männer und Frauen, die älter als 30 Jahre waren, zunächst in einem ausgeräumten Saal der Kabelfabrik gesammelt, dann auf LKW verladen und vermutlich im Juli 1944 im Wald von Rumbula ermordet.
Foto: Yad Vashem – Internationale Holocaust Gedenkstätte
Henriette Miltenberg wurde am 13.12.1941 mit ihrem Ehemann und den beiden Töchtern von MS nach Riga deportiert und kam nach Auflösung des Ghettos 1943 in die „Kasernierung“ Riga-Strasdenhof, wo sie mit ihrer Familie bei einer „Aktion“ erschossen wurde.
Edith Miltenberg war Sprechstundenhilfe und Krankenschwester. Besuchte die Annette-Schule von 1932 bis 1936. War 1934 Mitglied im „Bund Deutsch-Jüdische Jugend“ und engagierte sich außerdem im Sportverein des RjF, wo sie 1934 bei den westfälischen Bezirksmeisterschaften den ersten Platz im Dreikampf belegte. Sie war vom 1.6.1937 bis zur Emigration ihres Arbeitgebers im Oktober 1938 als Haustochter, Erzieherin und Sprechstundenhilfe bei dem Arzt Dr. Marcus in Solingen tätig. Sie sprach fließend Englisch, so dass sie ihrer Tante Renate Miltenberg zu deren
Auswanderungsvorbereitung Englischunterricht erteilte. Außerdem hatte sie sich Spanischkenntnisse angeeignet und kannte sich mit Büroarbeiten aus. Da sich die Emigration der gesamten Familie aufgrund der unzureichenden Bürgschaft und der Quotenregelung bis April 1939 noch nicht verwirklichen ließ, plante sie zu diesem Zeitpunkt, als Haustochter nach England auszuwandern. Im Mai 1939 war das Umzugsgut bereits zollamtlich verpackt, doch hatte die Emigration bis August 1939 nicht erfolgen können. Am 22.8.1939 hatte sie der Devisenstelle erneut die Umzugsgutliste zur Bewilligung eingereicht und um schnellstmögliche Rückgabe gebeten. Dieses Mal scheiterte die Emigration offensichtlich am Ausbruch des 2. WK. Im Mai 1941, als die Flucht gemeinsam mit den Eltern noch immer nicht geglückt war, appellierte sie an einen entfernten amerikanischen Verwandten, wenigstens ihr durch ein „Affidavit“ die Einwanderung in die USA zu ermöglichen, damit sie die Familie nachkommen lassen konnte.

Ehemaliger Gertrudenhof in Münster – (Sammelpunkt vor den Deportationen 1941/42), Warendorfer Straße, Ecke Kaiser-Wilhelm-Ring. Zuvor war der Gertrudenhof Kino, Versammlungsraum und Biergarten. Er wurde am 11. Dezember 1941 von der Gestapo beschlagnahmt, um Münsters BürgerInnen jüdischen Glaubens dort vor ihrer Deportation in Richtung Osten zusammenzutreiben. Ziel war das deutsche Ghetto Riga (Lettland), das einem Vernichtungslager gleichkam. Foto: Stadtarchiv Münster.
Am 20.5.1941 benachrichtigte das Zollamt I in MS sie, daß das drei Jahre zuvor bewilligte Umzugsgut auf Antrag freigegeben sei, „da eine Möglichkeit der Ausfuhr in nächster Zeit nicht besteht und das Gut gebraucht wird“. Zu dem Zeitpunkt strebte Edith M. vergeblich eine Stelle als Krankenschwester im „Israelitischen Asyl“ in Köln an. Sie erlernte die Herstellung von Ansteckblumen aus Filz, die sie in der Emigration vertreiben wollte. Im Juli 1941 nähte sie Lederhandschuhe. Sie wurde mit Eltern und Schwester am 13.12.1941 von MS nach Riga deportiert, wo sie als Krankenschwester im Ghetto-Krankenhaus tätig war. Nach der Auflösung des Ghettos im November 1943 wurde sie mit ihrer Familie ins KZ-Riga-Strasdenhof verschleppt. Als die sowjetischen Truppen vorrückten, wurden für eine „Aktion“ sämtliche Männer und Frauen über 30 Jahre aufgerufen. Eine Augenzeugin schrieb: „Nun war es gleichgültig, ob jung oder alt, krank oder gesund. …Herr Miltenberg mit seiner Frau und schönen Tochter Edith, die freiwillig bei ihnen blieb, … für sie alle blieb nur dieser eine letzte Weg“.

Hannelore Miltenberg war Schülerin der jüdischen Volksschule und nach Aussage ihrer Schwester Edith „eine glänzende Schülerin“ und „der Stolz der Familie“. Im Februar 1941 verfasste sie einen Aufsatz zum Thema ,Beten“, den sie ihrer Tante à Renate Miltenberg zu lesen gab. Diese äußerte dazu: „So einen Aufsatz habe ich noch nicht gelesen von einem Kind von 12 Jahren. Die dicken Tränen liefen mir über die Backen“. Zu Pfingsten 1941 wurde Hannelore Miltenberg zusammen mit Irmgard Heimbach, Ruth Behrendt und Margarete Goldberg von Rabbiner Dr. Julius Voos „konfirmiert“. Sie wurde mit Eltern und Schwester am 13.12.1941 von Münster ins Ghetto Riga deportiert. Nach der Auflösung des Ghettos im November 1943 wurde sie mit ihrer Familie vermutlich bei einer „Aktion“ im KZ-Riga-Strasdenhof von Nazis ermordet.
*Quelle: Gisela Möllenhoff / Rita Schlautmann-Overmeyer, Jüdische Familien in Münster 1918 – 1945. Teil I Biographisches Lexikon, Münster 2001
Von den im Jahre 1933 ursprünglich 708 Angehörigen der jüdischen Gemeinde wurden 299 Menschen in Konzentrationslager deportiert, von denen nur 24 überlebten. Insgesamt 280 jüdische Bürger verließen Münster und emigrierten ins Ausland, sieben begingen Selbstmord und vier überlebten den Nationalsozialismus in Münster im Untergrund. Abzüglich der 77 Personen, die in diesem Zeitraum eines natürlichen Todes starben, verbleiben 42 Menschen, deren Schicksal ungeklärt geblieben ist.
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