Münster: Friedensgruppen laden zum Gedenken an Nazi-Opfer, Kriegsdienstverweigerer und Zeugen Jehovas Wilhelm Kusserow ein

Münster. Vor 84 Jahren, am 27. April 1940, wurde der Zeuge Jehovas Wilhelm Kusserow wegen Kriegsdienstverweigerung in Münster (hinter der heutigen Hautklinik) auf persönliche Anordnung des Massenmörders Hitler hingerichtet. Anlässlich des 84. Jahrestages seiner Ermordung rufen die Friedenkooperartive Münster (FRIEKO) und die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, Basisgruppe Münster (DFG-VK) zu einer Gedenkveranstaltung am 27. April 2024, von 11:00 bis ca. 11:45 Uhr, an der Gedenkstele für das Nazi-Opfer im Innenhof der UKM -Hautklinik (Von-Esmarch-Straße 58) auf.

Fotos: Lothar Hill und United States Holocaust Memorial Museum. Bild vergrößern.

1939 erhielt Wilhelm Kusserow seine Einberufung zum Wehrdienst. Er verweigerte als Zeuge Jehovas aus Gewissensgründen den Kriegsdienst. Dafür wurde Wilhelm Kusserow durch das Kriegsgericht in Münster zum Tode verurteilt und am 27. April 1940 standrechtlich erschossen. Die Hinrichtungsstätte befand sich auf einem Feld hinter dem damaligen Standortlazarett Münster. Jetzt befindet sich dort eine Grünfläche der Universitäts-Hautklinik, Von-Esmarch-Straße.
An der Stelle seiner Erschießung erinnert seit dem 28.04.2002 eine Metall-Stele mit Inschriftentafel an Wilhelm Kusserow.
Inschrift:
Er starb als Wehrdienstverweigerer. / Auf diesem Gelände wurde / Wilhelm Kusserow / geb. 4.9.1914 / mit 25 Jahren als Zeuge Jehovas am 27. April 1940  hingerichtet. / „Man muss Gott mehr Gehorchen / als Menschen“ / Apostelgeschichte 5, 29

Foto: Lothar Hill. Bild vergrößern.

Wilhelm Kusserow wurde zu Beginn des Ersten Weltkrieges am 4. September 1914 in Bochum geboren  und wurde nach dem deutschen Kaiser Wilhelm II. patriotisch benannt. Er war lutherisch erzogen worden, aber seine Eltern wurden nach dem Krieg Zeugen Jehovas und erzogen ihre Kinder nach ihrem Glauben. Nach 1931 wurde ihr Zuhause in der ländlichen Stadt Bad Lippspringe als Zentrum der Zeugen Jehovas bekannt.

1933/39: Die Kusserows wurden von der NS-Polizei genauestens untersucht, weil Zeugen Jehovas glaubten, dass ihre höchste Loyalität Gott gegenüber und nicht Hitler gegenüber stand. Das Haus der Kusserows wurde wiederholt durchsucht und ein Teil ihrer religiösen Literatur wurde konfisziert. Sie boten anderen Zeugen Zuflucht und hielten illegal Bibelstudiensitzungen in ihrer Wohnung ab, selbst nachdem Wilhelms Vater zweimal festgenommen worden war.

An der Stelle seiner Erschießung hinter der heutigen Hautklinik der Uni Münster erinnert seit dem 28.04.2002 eine Metall-Stele mit Inschriftentafel an Wilhelm Kusserow. Foto: Lothar Hill. Bild vergrößern.

Im Herbst 1939 wurde Wilhelm Kusserow von der Wehrmacht einberufen. Ihm war bewusst, dass eine Verweigerung des Wehrdienstes das Todesurteil für ihn bedeuten würde. Er fragte sich aber immer wieder: „Weshalb und warum muss, dieser Nazistaat so brutal sein und christlich eingestellte Menschen, Juden und andere Gruppen verfolgen oder sogar versuchen, sie zu vernichten?“ Er war in einem starken Gewissenskonflikt. Im Dezember 1939 fasste Wilhelm den Entschluss, seinem Vorgesetzten zu sagen, dass er den Kriegsdienst „wegen seines Glaubens an Gott aus Überzeugung“ verweigern wird. Auch nach langen Diskussionen mit seinem Chef, ließ er sich von seinem Standpunkt nicht abbringen. Vor dem Kriegsgericht in Münster wurde er daher zum Tod verurteilt.

1940: Deutschland befand sich seit September 1939 im Krieg, und Wilhelm war festgenommen worden, weil er die Aufnahme in die deutsche Armee abgelehnt hatte. Er hielt sich streng an das Gebot: „Du sollst nicht töten.“ Für Wilhelm stand Gottes Gesetz vor Hitlers Gesetzen. Der Richter und der Staatsanwalt versuchten, seine Meinung zu ändern.

(27. April 2021) Münster: Gedenken an Nazi-Opfer Wilhelm Kusserow – Rede Hugo Elkemann (Friedenskooperative Münster)

*Er war der erste Märtyrer in der Familie. Seine Mutter und seine Schwester Magdalena besuchten ihn kurz vor seinem Tod. In ihrem Bericht in der Zeitschrift „Der Wachtturm“ vom 1.09.1985 (hg. von Jehovas Zeugen) führt Magdalena auszugsweise aus: „Wir waren beeindruckt, wie gefasst er war. Er gab Mutter seinen Mantel und sagte: ‚Ich brauche ihn jetzt nicht mehr.‘ Hitler wies Wilhelms dritten Einspruch gegen das Todesurteil zurück und unterzeichnete persönlich den Hinrichtungsbefehl. Aber sogar noch als Wilhelms Augen verbunden wurden, wurde ihm eine letzte Gelegenheit gegeben, seinem Glauben abzuschwören. Er weigerte sich. Sein letzter Wunsch? Er forderte die Männer auf, gut zu zielen.“ Er wurde am 27. April 1940 in Münster von einem Erschießungskommando hingerichtet.

Aus dem Briefverkehr zwischen Wilhelms Mutter Hilda und seinem Pflichtverteidiger, Herr Dr. Rohr geht hervor, wie beeindruckend Wilhelm vor den Vertretern der Anklage mit der Bibel argumentierte. In seinem rührenden Abschiedsbrief, den er einen Abend vor seinem Tod verfasste, schrieb er, dass er Gott treu war „bis zum Tode […]. Allerdings ist es sehr schwer, diesen Gang zu gehen“4. Bis zuletzt hätte Wilhelm sich bereit erklären können, als Soldat in den Krieg zu ziehen, um der Todesstrafe zu entgehen. Aber er blieb mutig bei seiner Überzeugung, dass er als Zeuge Jehovas seine Mitmenschen nicht töten wolle.

(27. April 2021) Münster: Gedenken an Nazi-Opfer Wilhelm Kusserow – Rede Jewgenij Arefiev (DFG-VK Münster)

Einige Jahre später schrieb sein Pflichtverteidiger an die Familie: „Er empfing den Tod aufrecht und war sofort tot. Seine Haltung hat das ganze Gericht und uns alle zutiefst beeindruckt. Er starb entsprechend seiner Überzeugung.“ Im Standesamt Bielefeld wurde über Wilhelms Todesursache jedoch dokumentiert, dass es ein „Kriegssterbefall“ war. „Den Behörden muss es wohl sehr peinlich gewesen sein, die richtige Ursache anzugeben?!“ Auch wenn die Regierung die Familie glauben machen wollte, Wilhelm wäre für sein Vaterland und für Adolf Hitler gestorben, zeigen die Aufzeichnungen und Briefwechsel, insbesondere von seinem Rechtsanwalt, Herrn Dr. Rohr, dass Wilhelm einzig und allein wegen seiner Überzeugung gestorben ist, nicht zur Waffe zu greifen und Gott mehr zu gehorchen als der NS-Diktatur.

1946, sechs Jahre nach Wilhelms Hinrichtung, schrieb sein damaliger Pflichtverteidiger, Herr Dr. Rohr, wie beeindruckt er von Wilhelms Mut war. Aus diesem zu Herzen gehenden Schreiben sind folgende Zitate entnommen:

„Ich habe mich damals – vor der Verhandlung – viel mit Ihrem lieben Sohn unterhalten und seine ruhige, unbedingte Glaubenszuversicht bewundert. Niemals wurde er erregt, trotzdem man ihm von allen Seiten zusetzte, seine Ansicht zu ändern.“

(27. April 2021) Hugo Elkemann (FRIKO Münster) liest Episode aus dem Buch: „Beim Häuten der Zwiebel“ von Günter Grass

„Die Zeit nach der Verhandlung bis zur Urteilsvollstreckung war Ihr Sohn Wilhelm der ruhigste Insasse der Haftanstalt, da er mit sich und seinem Glauben hinreichend beschäftigt war. Man, d.h. auch das Oberkommando des Heeres, wollte die Urteilsvollstreckung gerne vermeiden, da man die idealen Motive Ihres Sohnes anerkannte, aber alle Bemühungen, ihn umzustimmen, scheiterten an seiner konsequenten überzeugungstreuen Haltung.“ *Quelle: Stolpersteine Bad Lippspringe/Wilhelm Kusserow.

Münster: Zur Geschichte der Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in der Nazizeit. Rede von Bernd Drücke, an der Stelle, wo 1940 Wilhelm Kusserow im Alter von 25 Jahren wegen Kriegsdienstverweigerung als Zeuge Jehovas ermordet wurde (29. März 2013).

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