Münster: Stolpersteine gegen das Vergessen – In Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus: Leo Steinweg

Stolperstein des Künstlers Gunter Demnig in Münster, verlegt am 13. Dezember 2023 mit dem Verein „Spuren Finden e.V.“ in der Rothenburg 51 für: Leo Steinweg. Er wurde am 11. Juni 1906 in Münster geboren und Ende Februar 1945 im KZ Flossenburg ermordet. Leo Steinweg war einer der ersten Motorradprofis in Deutschland. Verheiratet war er seit 1933 mit der Katholikin Emmy. Sie engagierte sich mit sehr mutigem Auftreten, um ihren Ehemann vor den Nationalsozialisten zu schützen. Emmy Herzog-Steinweg starb 2009 im Alter von 106 Jahren in Münster. 2017 wurde in Münster ein Platz nach ihr benannt: „Emmy-Herzog-Platz“. Bei ihrem Tod war sie die älteste Einwohnerin der Stadt Münster. 1999, im Alter von 96 Jahren, begann Emmy Herzog ihre Lebensgeschichte, insbesondere ihre Erinnerungen an Leo Steinweg niederzuschreiben. Das Buch erschien 2000 unter dem Titel „Leben mit Leo“ (2. Auflage 2004). 2003 widmete der WDR ihr einen Beitrag in der Reihe „Menschen hautnah“ unter dem Titel „Emmy – 100 Jahre nie einen Liebeskummer“. 2006 (im Alter von 103 Jahren) erschien ihr zweites Buch, der Roman „Bunte Zeiten“, der biographische Erfahrungen in Form von vier fiktionalen Biographien verarbeitet. Emmy Herzog galt zu diesem Zeitpunkt als älteste Autorin Deutschlands.

Foto Stolperstein: Lothar Hill. Quelle Foto Leo Steinweg: Aufbau Verlag Berlin Bild vergrößern.

*Leo Steinweg wuchs im elterlichen Haus An den Bleichen 5 in Münster auf und besuchte die jüdische Volksschule. Nach einer vierjährigen Mechanikerlehre in Mecklenburg brachte ihn seine Leidenschaft für Motorräder brachte ihn in Kontakt mit den DKW-Werken, für die er ab 1924 Rennen im In- und Ausland fuhr. Leo Steinweg feierte in den ›goldenen 1920er Jahren‹, in denen der Motorsport erstmals das Publikum begeisterte, zahlreiche Erfolge. 1933 wurde ihm aufgrund seiner jüdischen Herkunft die Rennlizenz entzogen. Im August 1938 riet ihm ein Freund, der inzwischen Mitglied der SS war, dringend zur Ausreise. 1938 floh er daher in die Niederlande, zunächst nach Enschede. Er wurde illegal von einem Berufskollegen beschäftigt, während Emmy Steinweg innerhalb kürzester Frist die Wohnungseinrichtung verkaufen und das Geschäft mit dem Warenlager zu ungünstigen Bedingungen abwickeln musste. Leo Steinweg, dessen Pass bei einer Kontrolle eingezogen worden war, fand Zuflucht in einem Kloster nahe der belgischen Grenze. Emmy Steinweg erwirkte durch mutiges Auftreten bei der Behörde die Herausgabe des Dokuments. Dadurch war sein Aufenthaltsrecht in den Niederlanden gesichert.

1998: Emmy Herzog, verw. Steinweg. Quelle Foto: Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer, Jüdische Familien in Münster 1918 bis 1945, Teil 1: Biographisches Lexikon, Münster 2001.

Eine Ausreise nach Brasilien scheiterte, weil deutsche Truppen am 10.5.1940 die Niederlande überfielen. Emmy Steinweg schützte ihren Mann und sorgte durch Heimarbeit für den Lebensunterhalt. Seit Frühjahr 1941 hielt sich Leo Steinweg nur noch innerhalb der Wohnung auf. Von holländischen Nachbarn vor Razzien gewarnt, flüchtete er jedes Mal auf das Hausdach, bis die Gefahr vorüber war. Nach einer Denunziation wurde ihr Mann ins Sammellager Westerbork verbracht. Durch beherztes Auftreten gelang es Emmy Steinweg, ihn einmal dort zu besuchen. Sie versuchte, bei der Gestapo in Amsterdam seine Rückstellung von der Deportation zu erlangen. Vergeblich. Jeden Monat musste sie sich bei der Gestapo in Amsterdam melden und wurde jedes Mal mit unflätigen Worten zur Scheidung gedrängt.

Am 2.11.1942 wurde Leo Steinweg ins KZ Auschwitz deportiert; er überlebte als ‚kriegswichtiger Facharbeiter‘ der Motorenbranche die nächsten zwei Jahre. Emmy Steinweg erhielt mit Hilfe eines Soldaten Lebenszeichen in Form von heimlichen Briefen von ihm.

Kurz vor der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen wurde Leo Steinweg Anfang 1945 auf den ‚Todesmarsch‘ Richtung KZ Flossenbürg/Oberpfalz geschickt und dort wenige Monate vor Kriegsende erschossen.

Emmy Steinweg selbst konnte erst 1950 nach Münster zurückkehren. Als Haftentschädigung erhielt sie pro Haftmonat 150 DM für 32 Monate KZ-Aufenthalt des Ehemannes. 1953 heiratete sie in zweiter Ehe Eugen Herzog. Emmy Herzog starb 2009 im Alter von 106 Jahren in Münster.

*Quelle: Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer, Jüdische Familien in Münster 1918 bis 1945, Teil 1: Biographisches Lexikon, Münster 2001.

Erlebte Geschichten mit Emmy Herzog – „Ich werde immer zu Dir halten!“ – Eigentlich war die Tanzkarte der 20jährigen Emmy schon voll, damals 1923 auf einem Gartenfest. Doch der junge Mann mit den braunen Augen und dem dunklen Haar gefiel ihr. HÖREN (WDR)

Das Leben des Motorradprofis und Nazi-Opfers Leo Steinweg aus Münster (WDR-Film)

Während der Zeit des Nationalsozialismus war Münster Sitz der Gauleitung vom Gau Westfalen-Nord sowie der Ordnungspolizei, unter deren Leitung circa 200.000 Ordnungskräfte am Massenmord an Juden, Sinti, Roma, Homosexuellen und anderen Gruppen beteiligt waren.

Von den im Jahre 1933 ursprünglich 708 Angehörigen der jüdischen Gemeinde Münster wurden 299 Menschen in Konzentrationslager deportiert, von denen nur 24 überlebten. Insgesamt 280 jüdische Bürger verließen Münster und emigrierten ins Ausland, sieben begingen Selbstmord und vier überlebten den Nationalsozialismus in Münster im Untergrund. Abzüglich der 77 Personen, die in diesem Zeitraum eines natürlichen Todes starben, verbleiben 42 Menschen, deren Schicksal ungeklärt geblieben ist. Darüber hinaus wurden aber u.a. auch Deserteure, sog. „Asoziale“, Homosexuelle, Zeugen Jehovas sowie Sinti:zze und Rom:nja aus Münster, Opfer der Nationalsozialisten. Im Rahmen des „Euthanasie-Erlass“ vom 1. September 1939, wurden zudem zwischen 1940 und 1943 über 550 Menschen aus der Heilanstalt Marienthal in Münster (heute LWL-Klinik) in Todeslager deportiert und ermordet. Von Haus Kannen in Münster-Amelsbüren wurden 106 Bewohner*innen Opfer der NS-Tötungsmaschinerie.

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Nazi-Opfer aus Münster und der damaligen Gemeinde Wolbeck (seit dem 1. Januar 1975 ein Stadtteil der Stadt Münster)

Laut des am 17. März 2021 vom Rat der Stadt Münster beschlossenen Forschungsprojektes „Gedenken an die verfolgten Homosexuellen und vergessenen Opfergruppen der NS-Zeit und der Nachkriegsjahrzehnte“, wurden mindestens zwischen 400 und 500 Münsteraner*innen zwangssterilisiert, von denen 350 namentlich identifiziert werden konnten. Eines der bekanntesten Opfer ist wohl der Münsteraner Antifaschist, Anarchist und Kommunist Paul Wulf, der 1999 verstarb.

Münster: „Zwischen Erfolg und Verfolgung – Jüdische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach“

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